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Situation Syrien - Die HTS-Blitzoffensive 2024
Beispiel einer geo-referenzierten Auswertung

 

Population Syria 2021 Situation territorial 27.11.2024 Situation territorial 01.12.2024 Situation territorial 05.12.2024 Situation territorial 07.12.2024 Situation territorial 08.12.2024

 

Innerhalb von 12 Tagen hat sich die Lage in Syrien vollständig geändert. Vom russisch gestützten Assad- Regime zu einer heute noch nicht abschließend bewertbaren Regierung unter der international als Terrororganisation gelisteten islamistische Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) – die aus der al-Qaida angelehnten al-Nusra-Front im Jahr 2017 hervorging. Ihr Anführer, Abu Muhammad al-Dschaulani, der Chef der HTS, wird international noch gesucht und auf ihn ist ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar von den USA ausgesetzt. Zeitgleich haben fast alle Akteure in Syrien zu ihm Kontakte aufgebaut, um ihre Interessen zu vertreten und die neue Regierung auf eine ihnen genehme Politik eizuschwören. Dies gilt besonders für:

  • Die Türkei, die die HTS wesentlich unterstützt hat und ihre Entstehung im türkisch kontrollierten Teil Syriens wohlwollend gefördert hat. Die Interessen der Türkei sind neben territorialen Interessen die Niederhaltung des kurdisch dominierten teilautonomen Nord-Syrien, welches türkische Truppen seit Jahren teilweise besetzt haben.
  • Die USA, die an der jordanischen Grenze zwei Stützpunkte (At Tanf und Zaqaf), als auch im kurdisch kontrollierten Ölgebieten drei weitere Stützpunkte unterhält. Sie ist derzeitig auf die Ölförderung orientiert und unterstützt die YPF – eine kurdische Miliz, die sich im Kampf gegen den Islamischen Staat ausgezeichnet hat, die jedoch laut türkischer Interpretation ein Ableger der kurdischen PKK ist.
  • Israel möchte seine territoriale Kontrolle in Syrien ausbauen um seinem Ziel „Erez Israel“ näherzukommen.
  •  Russland ist bestrebt seine beiden Stützpunkte in Syrien zu erhalten, da Tartus für die Flotte der einzige Stützpunkt im Mittelmeer, als auch die in Hmeimin, bei Latarkia, befindliche Luftwaffenbasis als wichtiger Brückenkopf für Transporte nach Afrika ist. Russland hatte im September 2015 auf Einladung der syrischen Regierung in den Krieg gegen ISIS eingegriffen, was nach jahrelangen unentschiedenen Kämpfen ausschlaggebend, auch weil sie den illegalen Erdöltransport von ISIS in die Türkei durch Luftangriffe stoppte, somit die Einnahmen des Islamischen Staates erheblich versiegen ließen.
  • Die arabischen sunnitischen Monarchien, denen der Irak und Syrien seit dem Sturz der jeweiligen Monarchen widerstrebte, in Syrien schon am 24. Juli 1920 durch direkte Intervention der französischen Mandatsmacht, im Irak am 14. Juli 1958. Beide Länder standen sich nach der Erlangung der Unabhängigkeit durch die Baath-Partei nahe, die speziell unter dem Einfluss der ägyptischen Revolution gegen König Faruk am 23. Juli 1952 und der Regierung Gamal Abdel Nasser, sich zu einer arabisch-nationalen und säkularen Partei entwickelte. Trotz der Spaltung der Baath-Partei zwischen beiden Staaten und inneren Machtkämpfen in den beiden Parteiflügeln blieb die politische Orientierung erhalten. Die anderen Monarchien der Region fühlten sich durch diese Entwicklung bedroht und intervenierten direkt und indirekt finanziell und militärisch, um die in ihrer Einschätzung eher sunnitisch beeinflussten Regierung zu stürzen. So sind Zahlungen aus den arabischen Monarchien an islamistische Organisationen klar belegt.
  • Letztlich sei noch der Islamische Staat genannt, der in den Gouvernements Hama, Ar-Raqqah, Deir Ez-Zor und Homs über Widerstandsinseln verfügt.

Diese unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure an der Machtübernahme des HTS in Syrien führen derzeitig zu einem noch nicht klaren Bild, wie sich die neue syrische Regierung in diesem Kraftfeldern entwickeln wird. Es stellt sich jedoch schon jetzt klar heraus, dass alle nicht-sunnitischen Bevölkerungsgruppen, wie Alawiten, Jeziden, Christen und andere Gruppen, vorwiegend im westlichen Teil des Landes angesiedelt, als Verlierer der Entwicklung anzusehen sind. Werden diese unsere neuen syrischen Asylsuchenden?
Auch die Lage der Kurden ist nicht abschließend zu bewerten, denn die bisherige teilweise Unterstützung der USA kann sich nach dem Amtsantritt von Trump ändern, und die türkische Politik und dessen Militär ist näher und bereits aktiv.

Doch nun zur Interpretation der Karten.

Karte 1 – Bevölkerungsverteilung in Syrien im Jahre 2021Sinnbild

Hier ist die Verteilung der Bevölkerung ersichtlich. Die Daten werden in den folgenden Karten nur noch im Hintergrund mit dargestellt. Es sollte jedoch Erwähnung finden, dass sich die kurdische Bevölkerung im Norden und Nord-Osten konzentriert befindet, die östlichen und südöstlichen Gebiete lediglich gering bevölkert sind.

 

 

Karte 2 – Lage am 27.11.2024Sinnbild

Stellt die Ausgangslage vor Beginn der Kampfhandlungen der HTS gegen die Assad-Regierung dar. Die hier lila-getönte Einflusszone der Türkei setzt sich dabei wie folgt zusammen:

  • Direkt durch türkische Truppen besetzte kurdisch-syrische Gebiete die direkt an die Türkei grenzen. Dies beinhaltet die 2015/16 erfolgte Besetzung der nördlichen Teile des Gouvernement Idlib, die 2017 erfolgte Besetzung des Gebiets um Afrin und die 2019 erfolgte Besetzung der nördlichen Teile der Gouvernements Ar-Raqqah und Al-Hasakah.
  • Eines weiteren Teils des Gouvernements Idlib, in welches sich anti-Assad-Gruppen zurückzogen und in Verhandlungen mit der syrischen Regierung als deren Zone (HTS) festgelegt wurde. Die Einhaltung des brüchigen Friedens an der Grenze der beiden verfeindeten Gruppen wurde von türkischen und russischen Truppen überwacht.

Intern ist dieses Gebiet unter HTS und türkischer Kontrolle.

Vereinzelte Exklaven von ISIS-Gruppen in den bevölkerungsarmen Gebieten existieren weiter.

Die USA hat durch ihre Unterstützung der YPF im kurdisch kontrollierten nord-östlichen Teil Syriens, dort laut eigenen Aussagen, zum Schutz der Erdölförderanlagen, 3 Stützpunkte, als auch im Süden in der Region At Tanf, die von Jordanien aus versorgt werden und dortige Rebellengruppen unterstützen.

Erwähnt werden soll auch, dass angrenzend an das illegal israelisch besetzte Gebiet Syriens seit 1967 eine UN-Pufferzone befindet, die militärische Zusammenstöße zwischen syrischen und israelischen Truppen vermeiden soll. Die UN-Truppen in dieser Zone wurden vor dem 27.11.2024 mehrfach Ziel israelische Militärschläge, die auch zu Todesopfern unter den UN-Truppen führten.

Der Großteil des Landes befand sich unter Kontrolle der Assad-Regierung.

Karte 3 – Lage am 01.12.2024Sinnbild

Der vom Norden aus angreifenden HTS erzielt um Aleppo und in Richtung Hamah erhebliche Gebietsgewinne, der Großteil Aleppos wird von ihr besetzt. Die kurdische Enklave südöstlich von Afrin wird ebenfalls von HTS-Einheiten angegriffen, die Kurden versuchen sich mit verbleibenden Kräften Assads nach Aleppo abzusetzen.

Zeitgleich beginnen Luftangriffe der USA und Israels die Positionen der Assad-Truppen anzugreifen und dienen somit als „Luftwaffe der HTS“, wie dies schon mehrfach in anderen Staaten zur Unterstützung von Aufständischen durchgeführt wurde.

Karte 4 – Lage am 05.12.2024Sinnbild

Die Stadt Aleppo ist von der HTS vollständig eingenommen und weitere Gebiete im Süd-Osten der Stadt sind unter Kontrolle des HTS. Auch Teile der kurdischen Gebiete werden im Osten besetzt.

Es ist ein relativ normaler zeitlicher Ablauf, die Gebietsgewinne der HTS sind noch moderat, die Assad-Regierung gibt eine Umgruppierung ihrer militärischen Einheiten bekannt.

Karte 5 – Lage am 07.12.2024Sinnbild

Die Einheiten der HTS stoßen auf Homs vor und erreichen die Vororte der Stadt.

Interessanter ist jedoch, dass sowohl von den USA und Jordanien kontrollierten Grenzgebieten im Süden aus erhebliche Militäraktionen erfolgten. So haben aus der US-kontrollierte Zone Regimegegner den wichtigen Eisenbahnknotenpunkt von Al Qaryatayn erobert und somit, neben den US-Luftangriffen auf die Assad-Truppen deren Bewegungsfreiheit erheblich vermindert. In dieser Exklave existierten, wie auch um Daraa keine Einheiten des HTS, es handelt sich vielmehr um noch nicht direkt benannte anti-Assad-Gruppen.

Ebenfalls ist ersichtlich, dass ISIS seine kontrollierten Gebiete erheblich ausgeweitet hat und aktiv in die Kämpfe gegen die Regierungstruppen eingegriffen hat.

Karte 6 – Lage am 08.12.2024Sinnbild

Die syrische Assad-Regierung ist gefallen, die Einheiten der Assad-Gegner haben Damaskus eingenommen und Assad ist aus dem Land geflohen. Es ist fraglich, ob die Besetzung von Damaskus durch den HTS oder die aus dem Süden vorstoßenden Einheiten erfolgte, wobei letzteres aus der geografischen Nähe und dem schnellen Vorstoß vom Vortag eher angenommen werden muss.

Zeitgleich hat israelisches Militär die UN-Pufferzone besetzt und richtet sich dort auf einen längeren Verbleib ein.

Bleibt die Frage, was wird aus Syrien? Die bisherige Bilanz der Regime Change Politik des Westens ist nicht gerade positiv – Somalia, Libyen, Afghanistan, Irak … failed states!

Und es wird schon trefflich darüber diskutiert und spekuliert* – alle Forderungen und Erwartungen der unterschiedlichen Interessengruppen wird die neue Regierung nicht erfüllen können, dann werden auch die Gruppen wieder mehr ihre eigenen Absichten verfolgen – und im schlimmsten Fall für alle Interessierten wird es zu einem Bürgerkrieg kommen.

Die reale Geschichte dieses Machtwechsels wird erst in einigen Monaten – vielleicht Jahren – geschrieben werden.

  • Gab es Absprachen zwischen den USA, der Türkei und Israel für diese Militäraktion?
  • Wieso ist die syrische Armee, eine nominell fast 300.000 Mann stark, nicht aktiv geworden?
  • Wurde ein Deal mit Teilen der Armeeführung für die Machtübernahme geschlossen?

Der Umsturz in Syrien, seine Hintergründe und möglichen Auswirkungen

Die geografischen Daten der Karten basieren auf Veröffentlichungen der spanischen Zeitung „El Pais“.

 


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